
Hola, ich heiße Leen Alkichk, bin 18 Jahre alt und komme aus Deutschland. Geboren wurde ich in Syrien, und als ich drei Jahre alt war, zog ich mit meiner Familie nach Deutschland, wo ich seitdem lebe. Seit dem 10. September bin ich nun in Cali, Kolumbien, und absolviere hier mein Freiwilliges Soziales Jahr mit der Initiative Christen für Europa (ICE) in Zusammenarbeit mit dem Verein AGUABLANCA e.V.
Gefunden habe ich ICE über mein Auslandsjahr-Stipendium, das ich durch das Parlamentarische Patenschafts-Programm (PPP) bekommen habe. Nach meinem Jahr in den USA bekamen wir am Ende eine Liste mit Organisationen, die internationale Freiwilligendienste anbieten. ICE hat mich sofort angesprochen, weil alles so warmherzig und familiär wirkte und man direkt persönlichen Kontakt hatte. Ich wollte schon immer noch einmal außerhalb Europas leben, und nachdem ich Nordamerika kennengelernt habe, war ich neugierig auf Südamerika, ein Kontinent, auf dem bisher niemand aus meiner Familie war. Außerdem wollte ich unbedingt Spanisch lernen und die offene, herzliche Kultur Lateinamerikas erleben.
Ich liebe es zu tanzen, zu reisen und neue Menschen kennenzulernen. Und was wäre ein besseres Land für mich gewesen als Kolumbien, vor allem Cali, die Stadt, in der die Salsa geboren wurde. Außerdem spiele ich gerne Volleyball mit Freunden und fahre Inlineskates. Hier in Cali gehört das einfach zum Leben dazu. Jeden Sonntag wird eine große Straße von acht bis dreizehn Uhr nur für Skater, Radfahrer und Läufer gesperrt. Ich habe mir hier eigene Inlineskates gekauft und fange jetzt an, regelmäßig mit Freunden und sogar mit meiner Profe mitzufahren. Ich kenne hier sogar einige Leute, die schon in Europa waren, um bei Skating-Wettkämpfen teilzunehmen, was ich wirklich beeindruckend finde.
Mein Einsatzort ist die Schule La Providencia im Stadtteil Aguablanca. Sie liegt mitten in einem einfachen Viertel, aber ist voller Leben. Schon bei meinem ersten Besuch war ich überrascht, wie herzlich und offen alle sind. Sobald ich das Klassenzimmer betrat, waren alle ganz aufgeregt. „¿De Alemania? Sprichst du wirklich vier Sprachen?“ Sofort kamen Fragen: „Was gibt es in Deutschland? Was ist dein Lieblingsessen? Kannst du etwas auf Arabisch sagen?“ Dieses Staunen und die Neugier der Kinder haben mich direkt begeistert.
Man merkt im Viertel selbst, dass viele Familien mit einfachen Mitteln leben, aber in der Schule sieht man das kaum. Die Kinder kommen jeden Tag in ihren ordentlichen Schuluniformen, lachen viel und bringen eine ganz eigene Energie mit. Trotzdem spürt man, dass sie aus schwierigen Verhältnissen kommen. Besonders am Anfang war das Thema Reichtum oft ein Gesprächsthema. Als ich erzählt habe, dass ich aus Deutschland komme, kam sofort: „Ah, also bist du reich?“ Und als sie fragten, in welchen Ländern ich schon war, hieß es gleich: „Dann bist du ja richtig reich!“ Daran habe ich gemerkt, wie sehr Unterschiede im Lebensstandard hier wahrgenommen werden und wie wichtig es ist, diesen Austausch mit Verständnis und Offenheit zu führen.
Ich arbeite im Englischunterricht mit meiner Profe Yisleth zusammen. Sie ist 29 Jahre alt, unterrichtet mit ganz viel Herz und ist für mich wie eine Amiga. Gemeinsam unterrichten wir die Klassen 7 bis 11. In Kolumbien ist die 11. Klasse übrigens schon die Abschlussklasse, also wie die 12. oder 13. Klasse in Deutschland. Wenn die Schüler Fragen haben, kommen sie oft zu mir, und manchmal erkläre ich Themen selbst an der Tafel. Wir lesen gemeinsam Texte, üben Aussprache und sprechen jetzt immer öfter auf Englisch, damit sie sich trauen, frei zu reden. Außerdem helfe ich beim Korrigieren von Tests. Es macht mir viel Freude zu sehen, wie die Schüler Fortschritte machen, und gleichzeitig merke ich, wie mein eigenes Spanisch von Tag zu Tag besser wird. Poco a poco lerne ich jeden Tag ein bisschen mehr, und es freut mich immer total, wenn mir jemand sagt, dass man merkt, wie sehr sich mein Spanisch schon verbessert hat.
Ein besonderes Highlight war der große Kulturtag der Schule. Diese Feier findet einmal im Jahr statt und ist für die Schüler etwas ganz Besonderes, weil sie Kulturen aus der ganzen Welt vorstellen. Schon in den Wochen davor war die ganze Schule voller Musik, Farbe und Energie. Überall wurde getanzt, gesungen, gebastelt und gelacht. Ich durfte mit meiner Profe und der 11. Klasse das Land Brasilien begleiten. Sie führten einen brasilianischen Tanz mit portugiesischer Musik und traditionellen Kostümen auf. Außerdem gab es Tänze aus anderen Ländern wie Italien oder aus verschiedenen Regionen Kolumbiens, jede mit ihren eigenen Kleidern, Rhythmen und Traditionen. Die Eltern der Schüler haben viele der Kostüme selbst gebastelt. Eine Mutter vom Kindergarten hatte sogar für ihre Tochter ein Kleid aus Zeitungspapier gemacht, das wunderschön aussah.
In der Woche vor dem Kulturtag gab es jeden Tag ein anderes Thema. Einmal stellten die Schüler verschiedene Länder vor, an einem anderen Tag zeigten sie Musikrichtungen wie Hip-Hop oder Salsa. Am letzten Tag wurde auf dem Fußballfeld der Schule alles zusammen präsentiert, mit den bunten Kostümen und viel Musik. Jede Klasse war dabei, von den Kleinsten bis zu den Ältesten, und alle waren voller Begeisterung. Am Sonntag fand dann der eigentliche Kulturtag statt, zu dem auch viele Eltern gekommen sind. Ich habe meiner Englischlehrerin beim Grillen geholfen. Es war sehr heiß, aber die fröhliche Atmosphäre hat das völlig in den Hintergrund gerückt. Das Essen wurde verkauft, und mit dem Geld, das gesammelt wurde, werden neue Materialien und Utensilien für die Schule gekauft. Wir durften auch typisch kolumbianisches Essen probieren, zum Beispiel Tamales: eine Mischung aus Fleisch, Kartoffeln, Reis und Erbsen, eingewickelt in ein großes grünes Blatt und gedämpft. Es war sehr lecker und hat perfekt zu dem Tag gepasst. Die Freude und der Stolz der Schüler waren überall zu spüren. Für mich war dieser Tag einer der schönsten Momente hier in Kolumbien.
Was mir in Cali sofort aufgefallen ist, sind die Menschen. Sie sind sehr offen und freundlich. Wenn man einfach zum Supermarkt läuft, wird man gegrüßt, und an der Ampel beginnt man plötzlich ein Gespräch. Manchmal verstehe ich noch nicht alles, aber oft reicht ein Lächeln, ein Kopfnicken und ein „Sí“, und schon fühlt man sich verbunden.
Alles in allem fühle ich mich hier sehr wohl. Die Schule, die Kinder, meine Profe und auch das Leben in Cali geben mir das Gefühl, am richtigen Ort zu sein.
Saludos desde Cali 💛💙❤️
Leen




